Auszüge aus Beiträgen in unserem Gemeindebrief „Die Brücke“

 

Da ist Lunda.

Wir sitzen dicht gedrängt in dem Auto, das Flüchtlinge in die Flüchtlingslager bringt. Er ist erschöpft, kam irgendwann in den letzten Tagen nach Kinshasa. Er erzählt stockend von dem, was er erlebt hat.

„Um halb acht war ich auf dem Feld, etwas von meinem Dorf entfernt. Dann hörte ich, wie sie kamen, ich hörte Schüsse. Sie waren im Dorf. Entsetzt starre ich in die Richtung meines Hauses. Das Dorf ist umstellt. Niemand kann fliehen. Immer wieder Schüsse. Und dann das, was sie immer tun: Alle müssen in den Häusern bleiben. Und dann war das Dorf ein Feuermeer. So sind sie verbrannt.“ „Alle?“, frage ich. „Alle“, sagt er. Meine Frau, meine kleinen Kinder. Ich bin nur noch gelaufen. Gelaufen und gelaufen.“ – Pause. – Dann 400 km zu Fuß durch den Tropenwald bis zum Kongo-Fluß, dann mit einem alten Schiff 800 km bis Kinshasa. Nun auf dem Weg ins Flüchtlingslager. – Wir sehen uns lange an. Deine Augen, denke ich, guter Mann, deine Augen haben was, es ist, als träumten sie einen traurigen resignierten Traum.

 

 

Da ist Mbuyu.

Vorher war sie Näherin. Ihr musste eine Beinhälfte abgenommen werden, die war so zerschossen, da ließ sich nichts mehr machen. Auf der Flucht hatte sie alles und alle verloren. Ihr Mann: tot. Ihre Eltern: tot. Ihre anderen Verwandten: tot. Sie rief mich an ihr Krankenbett, konnte kein Französisch, nur eine andere Sprache, die ich nicht kannte, der afrikanische Arzt von „Ärzte ohne Grenzen“ übersetzte. „Nur eine Frage habe ich an dich, Pastor. Nur eine: Sage mir, wie es in meinem Leben weitergehen soll.“ (Welche Tiefe so ein Satz haben kann!) – Ich verstand: Keine Familie, keine Freunde oder Bekannten im Umkreis von 1000 km, und wenn, dann sind sie selbst bettelarm, keine Versicherung, keine Sozialhilfe. Wenn sie aus dem Lager kommt, dann bleibt für sie nur eins: Der Hungertod. Ich versuche, sie lieb anzusehen. „Soll ich dir falsche Hoffnungen machen?“, frage ich sie in meiner eigenen Ausweglosigkeit. Aber ich kann sie so nicht lassen, alles in mir bäumt sich auf. „Unser Gott, an den du auch glaubst, ist ein Gott der unbegrenzten Möglichkeiten. Er wird auch für dich eine Möglichkeit zu leben finden. Das glaube ich.“ „Ich nicht mehr“, sagt sie. „Ich glaube es für dich.“ – „Bete mit mir“. Wir beten. Sie weint.

 

 

Da ist Mbayo, der persönliche Berater des Gesundheitsministers des Kongo. Ich sehe ihn noch vor mir. Es ist morgens, gegen 9 Uhr. Ich klopfe an seine Tür, trete ein und sehe ihn vor seinem Schreibtisch stehen, die Hände auf den Schreibtisch gestützt, er ist am Beten.

Seine Augen geschlossen. Er betet laut. Laut und deutlich. Er läßt sich durch uns nicht stören.

Er betet für seine Arbeit, um Segen für seine Arbeit, er betet um Segen für sein Volk, er betet dafür, dass der Krieg endlich aufhöre, dass endlich Ruhe in das Land käme.

Fasziniert bleibe ich stehen, falte meine Hände, spüre, irgendwas kommt von diesem kriegsgeschüttelten traumatisierten Mann herüber, was ich nicht erklären kann. Aber ich spüre: Er ruht in seinem Glauben. Tut das gut!

Dann: bonjour, nehmt Platz.: Ja, denke ich mir, so sollten unsere Politiker vielleicht auch ihre Arbeit beginnen.

Und dann begann er zu erzählen.

Wie die „Feinde“ 15 Frauen lebendig begraben haben, und die eine Hand musste noch zum Spott als Winken herausgucken.  Wie die Zivilisten, die einfachen Bürger, wie sie, als der „Feind“ in ihrer Stadt Kinshasa zu wüten begann, wie sie wie wild über sie herfielen, und die Soldaten mit Benzin übergossen und lebendig angezündet haben.

Selbst Kinder können davon erzählen, wie sie mit Freuden die feindlichen Soldaten angezündet haben. Brennende Soldaten, denke ich mir, Leuchtfeuer der Verzweiflung. Lichter des Todes.

„Wenn wir unsere Würde behalten wollen, dann müssen wir so handeln“, sagt der Berater des Ministers.

Und er spricht über den Zustand seinen geschwächten Volkes, gegen das drei Nationen gemeinsam kämpfen, weil es ein an Bodenschätzen reiches Land ist, er spricht in der bildreichen Sprache der Afrikaner: „Ein Körper, der nicht ißt, wird leicht angegriffen.“

 

Ich sehe ihn vor mir, höre ihn, den Minister für Gesundheit der Republik Congo. Wir sprechen miteinander. Er, der begriffen hat, dass wir alle Menschen sind, dass wir alle vor Gott gleichen Wert haben. Er sieht mich verzweifelt aber stolz an und sagt:

„Welche Sünde haben wir getan, dass unser Volk diesen Krieg erleiden muss? Und warum sind wir so allein gelassen? Sind wir keine Menschen? Warum redet man nicht über uns in euren Medien?“

Ich weiß keine Antwort. Während unseres Gespräches kommt ein Fax aus Lubumbashi, einer 2500 km entfernten Stadt aus dem Kongo an, die Nachricht: Wegen der hohen Flüchtlingszahlen Ausbruch einer Choleraepedimie, 251 Tote innerhalb einer Woche. Mir schießt es durch den Kopf: Wie bitte? In Uganda sprach man in den deutschen Medien mehrere Male von  52 Ebolatoten (vor meiner Abreise), wird man die 251 Choleratoten auch erwähnen?

Er erzählt weiter über die Strategie der Angreifer. „Sie schicken Soldaten, die mit Aids infiziert sind, an die Front, in die Dörfer, um Frauen zu vergewaltigen und sie mit Aids zu infizieren. So hilft das, unser Volk auszurotten.“ Er bedankt sich für mein Kommen, fragt, warum ich komme. Ich antworte, ich wüsste es nicht, das sei einfach eine unerklärliche Liebe.

Auf dem Flur werde ich noch vom staatlichen Fernsehen interviewt; die Frage: was sei mein Eindruck vom Kongo. Ich antworte: „Ihr seid hin- und her gerissen zwischen Verzweiflung  und Aufbruchstimmung. Aber macht weiter, haltet durch, lasst euch nicht in die Verzweiflung treiben.“ Zweite Frage: „Was werden Sie für uns tun?“ Antwort: „Ich werde mit meiner Kirchengemeinde reden, dann werde ich sehen, wie wir uns für euch, für eure Flüchtlinge einsetzen können. Das verspreche ich euch.“

„Seien Sie unser Sprachrohr in Deutschland“, bittet mich ein Staatssekretär. Wir setzen viel Hoffnung auf Sie und auf die, denen Sie von uns erzählen werden.“

 

Ich fühle mich überfordert, überlastet. Mein Freund und ich gehen am Abend in ein Restaurant. Unbeschreibliche Szenen. Ein Riesenkrach aus einem kaputten scheppernden Lautsprecher, nebenan kaputte Autos, die durch Matsche und tiefe Pfützen fahren, Hitze, aber ein kaltes Bier, liebe Menschen, die sich über ein Gespräch freuen, weiter hinten ein Schuss. Und ich denke an meine Kirchengemeinde: Ach Leute, ihr habt doch so viel, gebt doch etwas ab von dem, was ihr habt, es wird euch nicht schaden, aber mit einigen Dollars könnt ihr dort das Leben einer ganzen Familie retten.

Hanni kommt, eine 24-Jährige, sie ist aus Kisangani geflohen, schon früher. Sie weiß nichts von ihren Großeltern, ihren Verwandten. Nur ihre Schwestern sind da und ihre Eltern, die andern sind wahrscheinlich umgekommen. Hanni setzt sich zu uns, lehnt sich an mich und sagt nur: „Kannst du uns irgendwie helfen?“ Ich spüre wieder: Ich bin überfordert, aber ich spüre auch: Ich darf diese Last auch auf die Schultern meiner Gemeinde legen.

 

Warum tut ihr euch das an, Menschen? Warum – nicht nur: tötet ihr euch – sondern: warum müsst ihr euch vorher quälen? Du Soldat, warum musst du, bevor du das Baby der Mutter tötest, warum musst du die Mutter zwingen, zuzusehen, wie du mit deinen dicken Stiefeln den Kopf des Babys zerstampfst, so dass man es krachen hört und die arme Mutter ihr Leben lang mit diesem Geräusch in ihrem Herzen leben muss? Ihr Soldaten, warum müsst ihr Kinder zwingen, zuzusehen, dass ihr die Eltern der Kinder in die Häuser sperrt und dann diese Häuser anzündet?

Wisst ihr nicht, dass das ein bleibendes lebensverzehrendes Feuer in den Herzen der Kinder sein wird? Ihr Soldaten,. warum genügt es euch nicht, wenn ihr die Feinde tötet. Den Krieg ausrotten werden wir nicht können. Aber: Warum müsst ihr Frauen und Kinder lebendig begraben? Lebendig begraben? Was bringt euch das? Genugtuung? – ach, sie wird doch nicht lange halten! – Freude? – ach die Freude, auf dem Leid anderer gebaut, ist brüchig! – Rachegefühle? – ach, Rache befriedigt nicht letztlich, sie vertieft nur die Wunden, die es ohnehin schon gibt. – Ich höre mir alle diese Lebensgeschichten an. Eine einzige Sekunde im Leben dieser Menschen offenbart mehr an Leid, mehr an Lebenserfahrung, mehr an Weisheit als das, was unsere Verwöhnten, an die Spaßgesellschaft und ihre oberflächlichen Medien gebundenen Menschen vom Leben begriffen haben. Wenn ihr wüsstet, wie dankbar ihr sein könnt!

 

Kingamu, ein Soldat.

Wir trafen ihn, als wir spät abends draußen an einer Kneipe, saßen. Alles schmutzig, tausende Menschen, Lärm, ständiger Autoverkehr, es hatte gerade fürchterlich geregnet, der Donner war noch zu hören, wir saßen auf den billigen Plastikstühlen, dicht an dicht, eine bunte Menschenmenge: Ganz arme, Bettler, etwas betuchte Juristen, Studenten, Alte, Junge, Prostituierte, aufgeregte laute Diskussionen, Gelächter, Fröhlichkeit, ein Verkrüppelter kam auf allen Vieren zu uns und wollte Geld.

 

Plötzlich sprang einer meiner Freunde auf, rannte zur Straße und hielt einen VW-Bus an. Es war der, der in dem Container war, den viele von Ihnen, liebe Gemeinde, mit finanziert haben. Der Bus hielt an. Voller Leute, 20 – 25 etwa. Er funktioniert gut. Ich taumelte glücklich zum Bus. Und auch, wenn Sie mich nun für verrückt halten: Ich streichelte den Bus. Er versorgt 3 Familien und trägt ebenfalls zum Bau des Waisenhauses bei. Gottes Segen.

Es war brütend heiß. Dann kam auch er, Kingamu. Es war dunkel, aber doch konnte ich sehen: ihm fehlte ein Arm, bis zum Ellenbogen. Setz dich zu uns, sagen wir. Erst staunt er, aber dann setzt er sich. Er macht seine Binde los und zeigt uns das verstümmelte Ende seines Armes, dann hebt er sein Hemd hoch und zeigt seine Verletzungen:

Es war im Norden des Kongo, sagt er. „Da traf mich eine Granate, die hat mir den Arm abgerissen, und dann haben sie mir auch noch Messerstiche verpasst.“

Seine Stimme ist heiser, er hat eine alte Baskenkappe auf, trägt eine schwarze Jacke, der die gesamte rechte Seite abgerissen war, eine Hose aus schwarzem Leder , Soldatenstiefel.

Man hat ihn verfrachtet in ein Invalidenkrankenhaus, aber er hat kein Geld, um sich dort versorgen zu lassen.

Der Staat kümmert sich nicht darum.

Kingamu schläft in einem dazugehörigen Invalidenlager. Aber niemand kümmert sich darum, wie er etwas zu essen bekommt.

Und weil er einen Namen hat, den dort viele tragen, gab man ihm in dem Lager den Beinamen: Fünffinger.

Noch vieles hat er erzählt, seinen ganzen Werdegang als Soldat, ich habe nicht alles verstehen können, weil er mit eine sehr schwachen Stimme sprach und die Musik aus dem kaputten Lautsprechern viel zu laut schepperte.

Er hat das für die Afrikaner typische Leuchten in den Augen verloren.

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